Einsamkeit macht Krank
Sich Einsam fühlen ist ein ernst zunehmendes Problem. Schon Studien aus den 80ziger Jahren zeigen z.B. eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit. Im Rahmen der Blogparade von Gesa Oldenkamp gebe ich Einblicke in meine therapeutische Tätigkeit.
In ihrem Aufruf zur Blogparade zum Thema Einsamkeit hat Gesa Oldekamp gefragt was Einsamkeit mit uns macht. Als Psychotherapeutin ist Einsamkeit ein präsentes Thema in meinem Berufsalltag. Ehe ich mich an diesen Beitrag gesetzt habe, habe ich eine Suchabfrage zum Thema Einsamkeit und Psychotherapie gemacht - nur Bücher. Wow, allein auf der ersten Seite sind neun Titel, die Einsamkeit in der Überschrift stehen haben. Sieben davon sind in den letzten drei Jahren erschienen. Wie gesagt, allein auf der ersten Seite der Suchabfrage! Hier spiegelt sich mein Gefühl der Aktualität und Häufigkeit von dem Gefühl der Einsamkeit wieder. Mit Erlaubnis meiner Patienten möchte ich einige Gesichter der Einsamkeit zeigen und wie der Weg aus der Einsamkeit heraus aussah.
Einsamkeit kann sowohl eine Ursache für psychische Erkrankungen wie z.B. einer depressiven Störung sein, als auch Folge, wie bei einem Chronic Fatique Syndrom (chronische Erschöpfung). Interessanterweise bennenen die Patienten dies nicht immer direkt.
Manfred Spitzer hat in seinem Buch Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit gesagt:
Einsamkeit ist nicht das Gleiche wie soziale Isolation, sondern deren psychologischer Aspekt. Einsamkeit bezeichnet ein subjektives Erleben (man fühlt sich einsam), wohingegen soziale Isolation objektiv gemessen werden kann (wie einsam man ist).Wer allein lebt (heute spricht man von „Single-Haushalt“), wenig Sozialkontakte hat oder nur ein kleines Netzwerk von sozialen Beziehungen aufrechterhält, weist eine größere soziale Isolation auf als jemand,
für den dies nicht zutrifft.
Dies ist für mich immer wichtig im Hinterkopf zu haben. Alleine sein bedeutet nicht zwangsläufig einsam zu sein. Ein Patient hat mir einmal berichtet, daß er sich bewußt eine Arbeit gesucht habe, bei der er keine Kontakte hatte und nur monotone Tätigkeiten verichtete (mit Gehörschutz in der Produktion am Band), weil er Zeit haben wollte zu denken. Er emfand alleine mit sich zu sein als eine wertvolle Ressource um sich mit sich und seinen Gedanken zu beschäftigen.
Auf der anderen Seite gibt es eine Patientin fest eingebunden in ihrer Familie und im Dorf, die sich einsam fühlt. Sie hat das Gefühl, nur noch zu funktionieren, Termine abzuarbeiten und zu versorgen, ohne wahrgenommen zu werden. Ihr fehlt der Austausch ihrer Gedanken und Gefühle. So ist sie langsam, fast unmerklich in eine Depression gerutscht. Sie merkt die Erschöpfung, kommt aber erst im Laufe der Therapie dahin, dass sie sich einsam fühlt.
Manfred Spitzer beschreibt weiterhin wie ernst die Auswirkungen von "sich einsam fühlen" sind - von wegen es ist doch nur ein Gefühl.
Auch wenn dabei die Einsamkeit nur „gefühlt“ sein mag, die Auswirkungen
dieses Gefühls sind real: Sie zeigen sich einer großen Zahl von Studien zufolge in ei-
ner deutlichen Steigerung von Morbidität und Mortalität. Wer einsam ist, ist eher
krank und stirbt deutlich früher. Dies wurde weltweit erstmals durch den bereits im
Jahr 1988 im Fachblatt Science publizierten Artikel "Social relationships and health" von House und Mitarbeitern bekannt.
Deshalb ist die Behandlung von Einsamkeit dringend notwendig und keine Lapalie.
Meine oben benannte Patientin konnte irgendwann sagen, daß sie sich zum einen Zeit mit ihrem Mann wünscht um wieder miteinander zu sprechen und nicht nur den Alltag zu organisieren. Sie vereinbarten eine wöchentliche Paarzeit - am Anfang aus praktischen Gründen war dies ein gemeinsamer Hundespaziergang. Außerdem wollte sie bei allem auch Zeit für sich und Dinge die sie interessierten und Spass machten. Es war ein großer Schritt für sie, zuzugeben, dass die Vereinsaktivitäten im Dorf nicht das waren was sie wollte. "Das macht man auf dem Dorf halt so, dass gehört dazu". Noch mehr Mut kostete der Schritt von diesen Aufgaben zurück zu treten. Ihr war klar, was sie wollte, nämlich kreativ sein und so buchte sie sich einen Kurs bei der VHS. Dafür schaffte sie sich Zeit, indem sie auch in der Familie Grenzen setzte. Was ich hier zusammenfasse, war ein längerer Prozess. Vor kurzem erhielt ich von ihr eine selbstgestaltete Postkarte, worüber ich mich sehr gefreut habe. Sie sei weniger einsam und geniesse jetzt auch mal Zeit für sich alleine zum malen und zeichnen.
So positiv läuft es nicht immer.
Mich wundert es nicht, dass ein Großteil der oben benannten Bücher zu Einsamkeit in den letzten drei Jahren veröffentlich wurden. Die Coronazeit und ihre Maßnahmen haben eine neue Dimensionalität in das "sich einsam fühlen" gebracht. Lockdown, Kontaktverbot, Schliessung von Sportstudios, Verbot von Tanzkursen und Chören. Auch Menschen, die bis dahin nicht einsam waren, sind es plötzlich, da die gewohnten Kontakte und damit verbunden Aktivitäten nicht mehr stattfinden dürfen. Eine ältere Patientin kam, weil ihre Ängste und depressiven Symptome sich seit den Coronamaßnahmen massiv verstärkt hatten. Sie hatte sich bis dahin gut mit ihrem Leben arangiert. Die Kinder und Enkel waren außer Haus. Ihr Mann fuhr alleine Fahrrad und ging zum spanisch Sprachkurs. Sie ging dreimal die Woche zum Linedance und in den Stall wo das Pferd ihrer Tochter stand. So hatte sie Kontakte, Austausch, hielt sich fit. Durch die Coronamaßnahmen fanden die Tanzkurse nicht mehr statt, in den Stall durften nach festen Zeitplan nur die Besitzer und Reitbeteiligungen. Ihr Mann ging weiter alleine Fahrad fahren und sein spanisch Kurs fand online statt - nicht ihre Welt. Als dann noch Weihnachten ohne die Kinder und Enkel stattfinden musste, war sie endgültig in der Einsamkeit angekommen. Sie und ihr Mann hatten sich nicht mehr viel zu sagen. Die Therapiestunden waren lange Zeit die einzige Möglichkeit über sich und ihre Gefühle zu reden. Der Aufbau von Kontakten war beschränkt. Sie konnte einige Telefontermine mit ehemaligen Tanzkumpaninnen organisieren. So wie den ein oder anderen begleiteten Hundespaziergang. Aber das waren nur Tropfen auf den heißen Stein. Erst als die Tanzkurse wieder stattfanden und sie wieder zum Pferd konnte stabilisierte sie sich langsam. Leider findet nur noch ein statt drei Tanzkurse statt und einige der Mitglieder sind mitlerweile verstorben.
Dann habe ich auch Patienten, die nie ein Problem mit Einsamkeit hatten, bis sie sich in der Coronazeit gegen die Impfung entschieden haben. Ein Patient von mir erlebte, dass sich Freunde und Familie von ihm lossagten, ohne nach seinen genauen Gründen zu fragen. Seine Töchter reden bis heute nicht mit ihm, weil sie der Meinung sind er habe ihnen ihre Freiheit verbaut in dieser Zeit. Von seinen Arbeitskollegen wurde er als Covidiot, Schwurbler und Rechts beschimpft. Er wechselte freiwillige in die Nachtschicht als Auslieferungsfahrer um möglichst wenig Kontakte zu haben. Während der ganzen Zeit fürchtete er um seinen Arbeitsplatz, weil sein Chef nur geimpftes Personal wollte. Selbst im Taubenzüchterverein war er wegen 2G ausgesperrt. Er kam noch während der Coronamaßnahmen in Therapie mit einer ausgeprägten Verbitterung. Lange Zeit blieben seine Tauben und Kontakte zu ein paar Freunden die ihn trotzdem akzeptierten das einzig Positive. Er fühlte sich hilflos ausgeliefert, was die Symptomatik verschlechterte. Der Umgang mit in diesem Ausmaß verordneder Ausgrenzung und Difarmierung bildete auch für Psychotherapeuten eine neue Herausforderung. Es gelang ihm über das Internet Kontakte zu knüpfen zu Menschen die seine Entscheidung akzeptieren konnten und sich für ihn und seine Beweggründe interessierten. Es war keine Selbsthilfegruppe, hatte aber eine ähnliche Funktion.
Bei allen Patienten die ich jetzt Beispielhaft genannt habe, stand die Frage was sie sich wünschen, was ihnen fehlt und wie das Gefühl Einsamkeit entstanden ist. Daran haben wir dann gemeinsam Ideen entwickelt, wie und was die Patienten unternehmen können. Ein Ansatzt der den therorethischen Hintergrund liefert ist der von John T. Cacioppo und seinem Ansatz "EASE" aus dem Buch: Einsamkeit: Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt.
In einem Artikel zum Buch im Spektrum.de hat Claudia Borchard-Tuch es wie folgt zusammengefasst:
Cacioppo zeigt, wie man diesem Teufelskreislauf entrinnen kann. "EASE" heißt sein Tipp: Erweitern des Aktionsradius, Aktionsplan, Selektieren und Erwartung des Besten. Ein Vereinsamter zieht sich oftmals zurück und verfällt in Passivität. Ganz allmählich, so Cacioppo, soll der Einsame seinen zwischenmenschlichen Aktionsradius erweitern. Am Beginn können Gespräche in einem Laden oder in einer Bibliothek stehen. Soziales Engagement ..... können hinzukommen. Der Aktionsplan hilft, das Beste auszuwählen. Ist man schüchtern, kann beispielsweise die Arbeit in einem Tierheim den größten Nutzen haben. Wichtig ist zudem, die besten Beziehungen auszusuchen und zu verstärken, das heißt zu selektieren. Denn bei Einsamkeit zählt vor allem die Qualität und nicht die Quantität der sozialen Kontakte. Das Beste erwarten – Optimismus – erleichtert gutes Auftreten und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass andere Sympathie zeigen.
Allerdings ist es nicht immer einfach Angebote zu finden. Besonders, wenn der Patient z.B. körperlich eingeschränkt ist und nicht so einfach zu bestimmten Terminen oder Gruppen kommen kann. Durch die Coronnazeit haben sich die Angebote von Onlinekursen und Gruppen extrem weiterentwickelt. Hierfür braucht es aber eine gewisse Computeraffinität und Offenheit für diese Art der Angbote. Eine Patientin hat so ein Angebot für eine offene Malgruppe gefunden. Von dem sie auch noch jetzt, wo sie nach einer Hüft-OP eingeschränkt in ihrer Beweglichkeit ist, profitiert. Oder wenn der Patient sich scheut Angebote wie sie z.B. Sozialdienste anbieten zu nutzen. In der Therapie sitzen der Patient und ich auch schon mal vor dem Computer und recherchieren nach Angeboten. Dabei kommen häufig noch mal neue Ideen hoch und es finden sich auch der ein oder andere Ansprechpartner.
Es gebe noch so viel mehr zu berichten über das Thema Einsamkeit. Aber hier wollte ich erstmal einen kleinen Einblick in die therapeutische Arbeit mit diesem Thema geben und Sie dafür sensibilisieren jemanden der sich einsam fühlt zu ermutigen sich Unterstützung zu suchen. Denn wie schon gesagt, die Auswirkungen von Einsamkeitsgefühlen sind schwerwiegend.