Schreiben hilft!

Schreiben als wichtiges Werkzeug in der Psychotherapie. Sowohl die Funktion des Schreibens für den Therapeuten als auch die verschiedenen Möglichkeiten das Schreiben als wirksammes therapeutisches Mittel einzusetzen.

Schreiben hilft!
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Schreiben ist für mich ein wichtiges Werkzeug für meine psychotherapeutische Arbeit. Wie jetzt – Psychotherapie ist doch reden? Ja, aber eben nicht nur. Ich begleite jede Therapiestunde schreibend. Neben Fakten notiere ich auch aufkommende Gefühle bei mir und dem Patienten, Fragen, Ideen zu Übungen. All dies hat nicht immer sofort Raum. Meine Aufzeichnungen helfen mir, die Sitzungen zu Strukturierungen und lose Fäden im Blick zu behalten.

Aber Schreiben hilft auch den Patienten ...

... als Einstieg in die Therapiestunde. Einer Patientin fällt es schwer, von sich aus zu reden. Wir haben viel probiert. Es gab oft die Schwierigkeit, dass ich zu viel redete und der Patientin zu viele Optionen angeboten habe. Dies führte zu einer Verunsicherung bei ihr und damit zu weiterem Schweigen. Nach einiger Zeit kamen wir darauf, daß die Patientin gerne schreibt. Also fing sie an, zwischen den Stunden aufzuschreiben was sie beschäftigte. Diese Texte gab sie mir zu Beginn der Therapiestunde. Damit arbeiteten wir dann weiter. Mit der Zeit traute sie sich immer mehr auch von sich aus ein Gespräch zu beginnen. Das Schreiben brachte die Veränderung.

… als Hilfe zum Sortieren. Viele Patienten haben ausgeprägte Grübelneigungen. Im Grübeln bleiben sie oft in immer wieder den gleichen Schleifen hängen oder kommen von einer Sorge zur anderen. Ich ermutige die Patienten dann, die einzelnen Gedanken auf separaten Zetteln zu sammeln. Diese Zettel verteilen wir dann gemeinsam auf dem Fußboden und überlegen wie sie sich sortieren lassen. Daraus ergeben sich verschiedene Themen. Auch diese sortieren wir und entscheiden gemeinsam mit welchem Thema wir weiterarbeiten wollen. So gibt Schreiben einen ersten Ausweg aus dem Grübeln und erschafft Strukturen.

... als Stärkung des Selbstwertes. Eine Patientin hat einen ausgeprägten inneren Kritiker. Dieser sorgte dafür, dass sie dachte sie schaffe es nie etwas zu erreichen, sie sei eine Versagerin. So gelang es ihr nur schwer, ihre Fortschritte bei der Überwindung ihrer Ängste zu sehen. Sie führte leidenschaftlich gerne ein Bullet Journal. Jeder Monat erhielt ein eigenes Thema. Dies machten wir uns zu nutzen und sie entwickelte einen Fortschrittstracker für ihre Übungen. Diesen hielt sie dann dem inneren Kritiker vor die Nase. Mit der Zeit stieg ihr Selbstwert und die Stimme des Kritikers wurde leiser.

... als Möglichkeit Visionen zu schaffen. Ein wichtiger Teil der Psychotherapie ist es, mit den Patienten eine Zielvorstellung zu erarbeiten. Was soll sich durch die Therapie verändern? Das beeindruckendste Beispiel welches ich mit einem Patienten erlebt habe, war ein Patient der sehr kreativ war. Er schrieb und zeichnete ein Comic in dem er sein Ziel beschrieb. Er formulierte seine Gedanken, Gefühle und die Reaktion seiner Freunde. Dies bildete die Grundlage der Therapie. Es gelang ihm Zwischenschritte zu entwickeln. Auch Rückschritte hielt er fest. So entwickelte sich ein ganzes Comicbuch. Das war ein eindrückliches Beispiel wie Schreiben die Therapie bereicherte und ermöglichte.

… als Hilfe zu verstehen warum eine Reaktion entsteht. Eine Patientin mit einer Zwangsstörung verstand nicht, warum ein harmloses Wort ihre Angst, andere verletzen zu können, auslöste und in einer Zwangshandlung endete. Sie dachte sie werde verrückt. Wir nahmen uns ein großes Blatt Papier und schrieben das Wort in die Mitte. Von da aus schrieben wir alle Assoziationen auf, die dieses Wort bei der Patientin auslöste, dann die Assoziationen der einzelnen aufgeschriebenen Worte. So gelangten wir auch zu Assoziationen die die Angst auslösten und zur Zwangshandlung führten. So funktioniert unser Gehirn in Netzwerken. Da die Netzwerke, die zur Angst führten, bei der Patientin hoch trainiert waren, waren diese Verbindungen gut gebahnt und schnell zu aktivieren. Dies zu sehen, war für die Patientin eine Erleichterung, da sie erkannte daß ihr Gehirn normal funktionierte und hoch trainiert war für ihre Angstreize.

... als Unterstützung beim Trauern. Eine Patientin verlor nach langem Leiden ihren Mann. Sie kam mit dem Verlust und dem Alleinsein nicht gut zurecht. Sie hatte auf einmal viel Zeit, die sie vorher in die Pflege ihres Mannes investierte. Sie schrieb gerne und so kam die Idee auf, die Geschichte ihres Lebens mit ihrem Mann aufzuschreiben. Sie fügte dem Text auch Bilder aus ihrem langen gemeinsamen Leben hinzu. Diesen Text gab sie ihren Kindern zu lesen. Anhand dieser Geschichte konnten sie mit ihren Kindern gemeinsam weinen und lachen. Sie konnten sich erzählen was sie vermissten. So kam der Trauerprozess in Gang.

... als Methode belastende Träume zu verändern. Ein Patient hatte wiederkehrten einen belastenden Traum aus dem er schweißgebadet aufwachte. Ich lade ihn zu einem Experiment ein: Er sollte ein Drehbuch zu seinem Traum schreiben mit einem alternativen Ende. Dabei war seiner Phantasie keine Grenzen gesetzt. Er probierte so einiges aus, bis er ein für sich passendes Ende fand. Wir besprachen das Drehbuch in allen Einzelheiten. Er stellte sich die einzelnen Szenen wie im Fernsehen vor. Danach ging er sein Drehbuch jeden Tag durch. So verankerte er den alternativen Traum, dies veränderte auch den ursprünglichen Traum. Das klappt nicht immer, aber es gibt dem Patienten das Gefühl der Kontrolle zurück.

... als Auseinandersetzung mit seinen Wünschen und Bedürfnissen. Einen Patienten, der viele partnerschaftliche Konflikte hatte, ermutigte ich einen Brief zu schreiben. Es gab so viele nie aus- und angesprochene Dinge. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte.Der Brief wurde von ihm mehrmals umgeschrieben. In den Therapiesitzungen besprachen wir einzelne Aspekte. Nach und nach wurde ihm klar, was ihm am wichtigsten war und was er mit seiner Frau besprechen wollte.Das Gespräch fing er tatsächlich mit einem Brief an, den er seiner Frau als Grundlage für das Gespräch übergab. So hatten beide noch nie miteinander gesprochen.

Mir fallen noch so viele Beispiele ein. Ja, wirklich Schreiben ist für mich ein essentieller Teil meiner Arbeit.

Das öffentliche Schreiben, wie jetzt hier im Blog, ist meine Möglichkeit gute Ideen und Erkenntnisse zu teilen. Allerdings ist das eine noch neue Disziplin. Hier bin ich noch nicht so selbtverständlich unterwegs, wie bei meiner Arbeit, aber es macht mir viel Spaß.

Vielleicht war es für mich als Leseratte mit einer Faszination für das entstehen von Mustern, Geschichten und Welten aus der Aneinanderreihung von Buchstaben nur noch ein kleiner Schritt dies auch selbst zu probieren…..

Dieser Text ist aus der Anregung von Anna Koschinski zur Blogparade zum Schreiben über das Schreiben entstanden.

Was verbinden Sie mit dem Schreiben?