Kindheitserinnerungen - die unterschätzte Ressource

Wie eine Erinnerung Gefühle, Stimmungen und Körperreaktionen erzeugt und wie wir dies nutzen können.

Kindheitserinnerungen - die unterschätzte Ressource
Photo by Klara Kulikova / Unsplash

Weckewerk*, wahrhaftig Weckewerk liegt da beim Metzger in der Auslage.

Sofort entsteht ein Bild vor meinem inneren Auge. Meine Mutter, meine Ur-Oma und ich am Tisch in der gemütlichen Wohnküche. Weckewerk gab es immer, wenn mein Vater nicht da war. Als zugezogener Rheinländer konnte er damit nichts anfangen. Ich fühle mich geborgen, höre die Scherze über das zerlaufene Weckewerk, die Kartoffelschalen im Zeitungspapier. Das prasseln von Holz im Ofen auf dem meine Oma auch kocht. Die Kartoffelschalen darf ich anschliessend ins Feuer werfen.

Ein breites Grinsen im Gesicht - wegen Weckewerk!

*(Weckewerk, eine deftige nordhessische Spezialität aus gekochtem Wellfleisch, Zwiebeln und Brötchen. Es wird mit Salzkartoffeln und sauren Gurken serviert).

Für diese Art der Erinnerung ist unser autobiographische Gedächtnis zuständig.

Im autobiografischen Gedächtnis oder episodischen Gedächtnis sind die persönlichen Erlebnisse eines Menschen abgelegt und helfen ihm, sich in der Zukunft und der ­Gegenwart zu orientieren, es prägt im weitesten Sinne die Persönlichkeit eines Menschen, formt seine Identität und spiegelt die persönliche, subjektiv erlebte Lebensgeschichte wider. Das autobiografische Gedächtnis sorgt vor allem auch dafür, dass Menschen sich als konsistente Persönlichkeit erfahren. (Stangl, 2024).

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2024, 18. Dezember). autobiografisches Gedächtnis. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https://lexikon.stangl.eu/18279/autobiografisches-gedaechtnis.

Das fantastische am autobiografischen Gedächtnis ist, dass es alles mit abspeichert was die Episode geprägt hat wie z.B. Gerüche, Geräuche, Gefühle, Farben, Körpererleben usw. Das bedeutet, wenn wir uns erinnern, dann erinnern wir uns an all dies mit.

Vielleicht kennen Sie es, dass ein bestimmtes Lied Erinnerungen an ein bestimmtes Ereignis wieder hervorruft z.B. einen bestimmten Urlaub in dem das Lied die ganze Zeit im Radio lief. Jetzt kommt mit diesem Lied die Erinnerung wieder und damit alles was damit abgespeichert ist, besonders auch das damit verbundene Gefühl!

Viele Lieder sind im autobiografischen Gedächtnis verankert und lassen sich häufig auch nach vielen Jahren noch abrufen.

Deshalb verändert die Erinnerung an etwas Schönes und Positives unser aktuelles Gefühl. Sie glauben mir das nicht - dann lade ich Sie zu einem kleinen Experiment ein: Die Zitronenübung!

Stellen Sie sich eine schöne gelbe Zitrone vor. Riechen Sie an der Zitrone - nehmen Sie das herbe Aroma wahr. Schneiden Sie die Zitrone in zwei Hälften. Sie sehen wie etwas von dem Saft leicht zur Seite spritzt und der frische Duft stärker wird. Sie schneiden eine Scheibe ab, der Saft läuft auf das Schneidebrett. Sie zerteilen die Scheibe in zwei Teile. Einen Schnitz stecken Sie in den Mund und beißen hinein. Sie schmecken den sauren Saft, der Speichel fließt in den Mund und es zieht sich alles zusammen.

Spüren Sie es?

Das passiert obwohl Sie es sich nur vorgestellt haben! Ihr Körper reagiert auf die reine Vorstellung. Auch hier spielt Ihre Erfahrung mit Zitronen natürlich auch eine Rolle. Wenn Sie noch nie eine Zitrone gesehen oder probiert haben, dann haben Sie auch keine Vorstellung davon.

Also kann unsere Erinnerung an ein Ereignis auch die damit verbunden Gefühle wieder aktivieren und Sie spüren diese genauso wie damals.

Je häufiger Sie sich an das Erlebnis erinnern, desto stabiler wird die Gedächtnisspur.

Dies können wir auch nutzen um unser biografisches Gedächtnis zu trainieren. Die unvergleichliche Vera F. Birkenbiehl hat dem ein ganzes Buch gewidmet: Das Anti-Alzheimer Lebensarchiv.

Natürlich speichert unser autobiographisches Gedächtnis nicht nur positive Episoden ab. Auch die traurigen, belastenden und herausfordernden Ereignisse prägen uns und unsere Persönlichkeit. Wenn wir belastet sind, dann kommen oft auch wieder viele Erinnerungen zum Vorschein die zum momentanen Gefühl passen. In solchen Situationen drehen wir uns in eine negativ Spirale und sehen wenig Positives.

Das Leben ist selten nur schwarz oder weiß, es gibt viele Zwischentöne und wir tun gut daran uns auch an diese zu erinnern. In schwierigen Zeiten können schöne Erinnerungen helfen mit der Situation und unseren Gefühlen zurecht zu kommen, besonders wenn wir uns erinnern was uns schon mal in einer ähnlichen Situation geholfen hat.

So wird z.B. bei einer Beerdigung beim anschließend Trauerschmaus viel über den Verstorbenen gesprochen und es wird oft auch viel gelacht, weil sich alle an besondere Momente erinnern, meistens an schöne oder lustige. Das hilft uns mit der Trauer gemeinsam besser zurecht zu kommen und zu feiern welche Ereignisse wir teilen durften.

Es lohnt sich also, ab und zu in schönen Erinnerungen zu schwelgen und alles damit verbundene wieder intensiv wahrzunehmen. Dies hilft uns nicht in einem negativen Strudel festzuhängen.

Wir können auch unsere Wahrnehmung auf schöne Momente zu trainieren, aber davon berichte ich in einem anderen Artikel.

Welche schönen Erinnerungen kamen Ihnen beim lesen wieder zu Bewusstsein? Wenn Sie mögen lassen Sie mich daran teilhaben.